Eine Diskussion beim Deutschlandfunk befasste sich mit Nachrichtenkriterien.
Aktualität, Nähe, Prominenz… Welche Ereignisse in der Nachrichtensendung Platz finden, müssen Redaktionen ständig neu entscheiden. Was aber ist eigentlich relevant? Diese Frage lockte rund 30 Journalistinnen und Journalisten aus dem Deutschlandfunk (DLF) und der Kölner Journalisten-Vereinigung (KJV) am 25. April in den Sitzungssaal des Nachrichtensenders im Kölner Süden.
Nachrichten sind nicht gleich Nachrichten, erfuhren die Zuhörer zu Beginn der Diskussion, die die DJV-Betriebsgruppe beim DLF als KJV-Veranstaltung organisiert hatte. Nicht nur im Privatfernsehen dominieren Angstthemen und Buntes, auch die Öffentlich-Rechtlichen lassen sich längst von Katastrophenlust und Unterhaltungswunsch anstecken, erklärte der Medienjournalist Fritz Wolf, der damit die Ergebnisse seiner Überblicksstudie „Wa(h)re Information – interessant geht vor relevant“ von 2011 zusammenfasste. Danach sind die TV-Nachrichten kurzatmiger geworden. Es werde mehr personalisiert, emotionalisiert, ja sogar fiktionalisiert, und das „Herauskitzeln des Skandalpotenzials“ sei heute eine „hohe Kunst von Redakteuren“. Kurz: „Die Säulen Relevanz und Interesse verschieben sich zunehmend.“
Was davon gilt auch für andere Medien? Sollten sich Nachrichtenredaktionen nicht wenigstens einmal im Jahr zusammensetzen, um über die eigene Nachrichtenauswahl nachzudenken? Und was lässt sich aus aktuellen Beispielen ableiten wie der Studie über junge Muslime, über die BILD vorab verkürzt und reißerisch berichtet hatte? Das fragte DLF-Nachrichtenredakteurin Christel Boßbach als Moderatorin die Podiumsteilnehmer Fritz Wolf, den DLF-Nachrichtenchef Dr. Marco Bertolaso und Dr. Andreas Elter, Professor für Journalistik und Studiengangleiter Journalistik der privaten Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation (MHMK).
Für Elter, der früher u.a. als RTL-Nachrichtenredakteur gearbeitet hat, schließen sich Unterhaltung und Relevanz nicht automatisch aus: „Wenn viele Leute über etwas sprechen, wird es dann nicht relevant?“ Letztlich entscheide das Bauchgefühl der Redaktionen, was sie zur Nachricht machten – erst aus der Beobachtung dieser professionellen Auswahlprozesse sei die Nachrichtenwertforschung in den USA entstanden.
Oft fehlt die Reflexion
Auch Marco Bertolaso wollte das Bunte nicht grundsätzlich verdammen: Ein bestimmtes Maß an Personalisierung und Emotionalisierung helfe den Menschen seit jeher, sich an Informationen zu erinnern. Allerdings hinterfragten die Redaktionen zu selten, „warum was wie gemeldet wurde oder eben nicht“. Falsch sei es auch, wenn sie unreflektiert Begriffe übernähmen, die von interessierter Seite gesetzt würden.
Das „Monopol auf den Rohstoff Information“ haben Journalisten heute nach Bertolasos Überzeugung verloren. „Wir reden über die Gatekeeper-Funktion, aber der Zaun ist gar nicht mehr da.“ Eine Aussage, der Wolf widersprach. Gerade weil die Menge der sofort verfügbaren Informationen ständig wachse, würden Journalisten wieder wichtiger. Und die Medien hätten weiterhin die wichtige Funktion, dass die Gesellschaft sich über wichtige Fragen verständigen könne. Von den Redaktionen forderte der Medienjournalist bessere Mechanismen, um sich nicht von den Inszenierungen der Politik vereinnahmen zu lassen.
Andreas Elter sieht Journalisten ebenfalls in der Aufgabe, die Fülle zu ordnen und zu sieben. Als Beispiel nannte er die Überprüfung von Bilder und Filmen aus dem Netz, etwa damals vom Tahirplatz. Er betonte zudem die gesellschaftliche Funktion von Nachrichten und regte an, die Privatsender auf diese Formate zu verpflichten. Dem hielt Bertolaso entgegen, keine Nachrichten seien besser als schlechte, manipulierende. Da sprach er spöttisch von „Nachrichtoiden“ („hört und fühlt sich an wie eine Nachricht, ist aber keine“).
Aus dem Publikum kamen u.a. Anregungen, dass Sender in den Nachrichten weniger Eigenmarketing machen und dass sie mehr Einordnung bieten sollten. Der DLF-Nachrichtenchef wies darauf hin, dass das nicht zur Kommentierung werden dürfe. Den entscheidenden Punkt nannte aber Moderatorin Christel Boßbach: „Einordnung erfordert eben weitere Recherche, und das kostet Zeit.“ Zeit, die heute in den Redaktionen immer weniger vorhanden ist. ||
Corinna Blümel