Massive Anfeindungen im Chat, „ehe ich den Mund überhaupt aufgemacht habe“: Melek Balgün muss einiges wegstecken, seit sie für den Webchannel ESL-tv Gaming-Veranstaltungen moderiert – also als Frau in der männerdominierten Welt der Onlinespiele eine exponierte Rolle hat. Da empfiehlt der Techniker schon mal, die Postings lieber nicht zu lesen, ehe sie auf die Bühne steigt.
Braucht sie Mut für ihren Job? Balgün findet nicht. Bei ihr klingen die Chat-Attacken wie ein Ritual, das sie an sich abperlen lässt. Im persönlichen Gespräch seien die Gamer handzahm und wollten ein Selfie mit ihr. Die 27-Jährige hat beste „Credibility“: Bevor sie den heutigen Job übernahm, hatte sie sich als Counterstrike-Spielerin in die höheren Ligen gezockt.
Ihre Moderationen haben Balgün auch für andere Aufträge empfohlen. So gehörte sie im vergangenen Jahr zum Presenter-Team von WDR #3sechzich, dem (inzwischen wieder eingestellten) YouTube-Kanal, mit dem der Sender die jüngere Zielgruppe erreichen wollte.
Über ihre Erfahrungen erzählte die gelernte Fachinformatikerin und heutige Masterstudentin beim Neujahrsempfang, den die Kölner Journalisten-Vereinigung (KJV) zum dritten Mal gemeinsam mit anderen Regionalgruppen von acht (vorwiegend Frauen-)Verbänden organisiert hatte.
Die Idee: sich über Verbandsgrenzen hinaus vernetzen – etwa mit den Neuen deutschen Medienmachern (NdM), dem Journalistinnenbund (jb), den Women in Film and Television (WIFT) oder den Digital Media Women (#DMW). Weitere Kooperationspartner waren die BücherFrauen, der Bundesverband der Frau in Business und Management (B.F.B.M. ), die Business and Professional Women (BPW) und das European Women’s Management Development International Network (EWMD). Das Konzept zieht: Die kostenpflichtige Veranstaltung war erneut ausgebucht, die Warteliste lang.
Melek Balgün teilte sich das Podium mit Dagmar Kieselbach, der Redaktionsleiterin des WDR-Magazins frauTV, und mit Silke Räbiger, Leiterin des Internationalen Frauenfilmfestivals Dortmund/Köln. Moderiert wurde die Veranstaltung von der freien Fernsehjournalistin Kadriye Acar.
Als das Vorbereitungsteam das Motto im Herbst festgelegt hatte, war noch nicht absehbar, dass Deutschland im Januar 2016 mit den Übergriffen am Silvesterabend in Köln beschäftigt sein würde. Das Motto „Courage – beherzt ins neue Jahr!“ passte aber auch unter diesen Vorzeichen gut. Allerdings ging es den veranstaltenden Verbänden weniger um das Selbstbewusstsein, mit dem Frauen über die Straße gehen. Sie interessierte die Frage der Sichtbarkeit: Wie kann es zum Beispiel sein, dass die Quote der Regisseurinnnen seit Jahren bei knapp 20 Prozent festhängt? Was hilft gegen rein männlich besetzte Podien bei Medien- und Wirtschaftskongressen? Warum sitzen immer noch sehr viel mehr Männer als Frauen in politischen Talkshows?
Kompetenz statt Lückenfüller
Zumindest für die männerlastigen Talkshows fand das Frauenpodium zwei Erklärungen: Zum einen lehnten Frauen eher ab, wenn sie für eine Diskussion angefragt würden: „Sie hätten immer gerne mehr Vorlauf, um sich besser vorzubereiten“, hat Dagmar Kieselbach beobachtet. Frauen sehen Risiken, Männer Chancen, lautete die griffige Formel dafür. Aber es sei auch nicht motivierend, wenn Redaktionen anfragten, weil sie erkennbar dringend noch eine Frau auf dem Podium brauchten. Wer ist schon gerne Lückenfüller? „Solche Anfragen sind doch abwertend“, erklärte Kieselbach. Frauen sollten für ihre Kompetenzen wertgeschätzt werden.
Natürlich sind nicht alle Menschen – egal welchen Geschlechts – für den Sonntagabend-Talk gemacht. Aber Podium und Publikum waren sich weitgehend einig, dass es an den Frauen selbst liegt, mutiger zu werden und die Komfortzone zu verlassen. Zugleich machte die Diskussion deutlich: Wer die Sichtbarkeit von Expertinnen erhöhen will, muss an die Strukturen gehen. Für entsprechende Strategien plädierte auch Silke Räbiger: „Einfach laut werden“ reiche eben nicht. Und für Melek Balgün ist klar: „Wir müssen dafür kämpfen und klar sagen, was wir wollen!“
Zum Auftakt der Veranstaltung hatte die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Köln, Christine Kronenberg, mit einem kurzweiligen Grußwort unterhalten. Außerdem gab es ein Gespräch mit der pensionierten Lehrerin Marliese Berthmann, die im Oktober 2015 beim Attentat auf die damalige Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker eingeschritten war. Berthmann erzählte darüber, wie Mut, Autorität und Überzeugungskraft im Laufe eines Lebens wachsen können.
Das abschließende Büffet bot Möglichkeit zum Austausch – vom lockeren Kontakteknüpfen mit Visitenkartentausch bis hin zum intensiven Gespräch.||
Corinna Blümel