Die Anschläge von Paris haben Fanatiker im Namen des Islam begangen, genau wie die Gräueltaten der Terrororganisationen Islamischer Staat oder Boko Haram. Wohnt die Gewalt also dem Islam inne? Oder stimmt die Gegenthese: dass Salafismus und Islamismus mit der eigentlichen Religion nichts zu tun haben? Das wurde in den Wochen „nach Charlie“ in Talkshows, auf Politik- und Hintergrundseiten oder im Feuilleton diskutiert. Dass man dabei Zweifel an der Expertise mancher Experten haben durfte, wirft ein Schlaglicht auf das Problem, das Medien schon länger plagt: Bei den Themen Islam, Islamismus und Salafismus ist häufig deutlich mehr Meinung als Wissen im Spiel.
Wie aber berichtet man angemessen, und wie gut gelingt das den Medien derzeit? Damit beschäftigte sich eine Diskussion der DJV-Betriebsgruppe im Deutschlandfunk (DLF). Geplant war das Hintergrundgespräch längerfristig, um Fachwissen aus den eigenen Reihen abzurufen. Nun im Januar hatte die Veranstaltung, die von Zeitfunk-Redakteur Dirk-Oliver Heckmann moderiert wurde, hohe Aktualität. Als interner Experte saß Thorsten Gerald Schneiders auf dem Podium – DLF-Nachrichtenredakteur, Islamwissenschaftler und Herausgeber des Buchs „Salafismus in Deutschland“ (transcript-Verlag). Von außen kam Vykinta Ajami hinzu, Muslima mit litauischen Wurzeln, die 1998 zum Studium nach Deutschland kam und blieb. Heute arbeitet die Linguistin und Arabistin als freie Journalistin und Autorin sowie für ein muslimisches Begegnungs- und Fortbildungszentrum. Wachsende Feindseligkeit gegenüber Muslimen bekomme sie in ihrem Umfeld nicht zu spüren, erklärte sie. Da sei Köln „anders als andere Städte“.
Chiffre für „das Fremde“
Trotzdem, die Spaltung schreitet voran, beobachtet Schneiders: „Die Anschläge von 9/11, die Sarrazin-Debatte usw. – mit jeder Welle bekommen Muslime das stärker zu spüren.“ Dass Menschen zwischen sich und „den anderen“ unterscheiden, sei ein Grundbedürfnis, referierte er aus der Vorurteilsforschung. Für viele sei der Islam einfach nur Chiffre für „das Fremde“. Im übrigen brauche Islamophobie keine Muslime, so wie Antisemitismus keine Juden brauche.
Islamismus definiert Schneiders als „politisches Phänomen, das sich auf den Islam beruft“, aber eben nicht mit ihm identisch ist. Oder wie Ajami sagt: „Sich auf Gott zu berufen ist das einfachste: Dann braucht man keine weitere Begründung.“
Das sinkende Ansehen der Muslime in der restlichen Bevölkerung hängt Schneiders zufolge auch damit zusammen, dass über den Islam vorwiegend im negativen Zusammenhang berichtet werde, etwa wegen so genannter Ehrenmorde. Das verschränke sich damit, dass es eben tatsächlich mehr Gewalttaten im Namen der Religion gebe. Insofern könne man „das negative Bild nicht den Medien allein anlasten“. Klar ist aber auch: Alarmistische Titel und Themen bringen Auflage bzw. Quote. „Dieser Schlagzeilen-Islam würde mir auch Angst machen, wenn ich nicht Muslima wäre“, sagt Vykinta Ajami dazu. Dabei weiß sie, dass die negative Abweichung für Medien interessant ist. Der Pressekodex biete aber eine gute Grundlage, um auch mit schwierigen Themen umzugehen.
Fragwürdige Auswahl
Insgesamt berichten Medien nach Ajamis Einschätzung heute differenzierter über den Islam als vor einigen Jahren. Aber gerade in Talkshows findet sie es oft schwierig, zwischen Show und Information zu unterscheiden. Die Auswahl der Diskutanten hält nicht nur sie für fragwürdig. Schneiders verwies auf „Islamkritiker“ wie den jüngst verstorbenen Ralph Giordano oder Udo Ulfkotte, „ursprünglich durchaus unverdächtig in Biografie und Auftreten“, die die Islamfeindlichkeit in die Mitte der Gesellschaft tragen – ohne einen wissenschaftlichen Hintergrund zu haben: „Das ist, als würden Sie einen Bauarbeiter bitten, das Alte Testament auszulegen.“
Auch Ajami plädiert dafür, dass Medien den Laien und selbsternannten Islamexperten seltener ein Forum bieten. „Für Muslime ist es klar, dass der Islam nichts mit Gewalt zu tun hat, und das betonen wir unermüdlich. Oft klingt das aber für Nicht-Muslime zu pauschal. Daher stehen hier sowohl die Islamwissenschaftler in der Pflicht, entstehende Fragen zu beantworten, als auch die Medien.“/Corinna Blümel