Schlaglicht auf Belarus

Matinee der Kölner Journalisten-Vereinigung zum Tag der Pressefreiheit

Eine junge Frau, die mit verzwei­feltem Gesicht einen Soldaten umarmt. Eine andere junge Demon­strantin, die von einem Polizisten abgeführt wird. Ältere Frauen mit Protestplakaten. Eine martialische Phalanx von behelmten Spezialkräften, verdeckt hinter ihren Schilden. Sicherheitskräfte hinter einem Zaun, davor eine junge Frau, die ein Selfie nimmt. Eine verletzte Person, die weggetragen wird.

Über die Köpfe der Zuschauerinnen und Zuschauer hinweg sieht man ein Podium mit drei Frauen.
Matinee der KJV mit Gemma Pörzgen von Reporter ohne Grenzen (l.) und der belarusischen Fotografin Violetta Savchits (M.). Das Gespräch führte Carmen Molitor. | Foto: Ilya Pusenkoff

Diese und weitere Bilder von den Protesten 2020 in Belarus liefen über die Leinwand, als die Besucherinnen und Besucher am 5. Mai zur Matinee der Kölner Journalisten-Vereinigung (KJV) im Kölner Literaturhaus kamen. Aufgenommen hatte sie die belarusische Fotografin Violetta Savchits, die an diesem Tag über ihre damaligen Erfahrungen berichtete. Sie saß zusammen mit Gemma Pörzgen, Vorstandsmitglied bei Reporter ohne Grenzen, auf dem Podium. Geführt wurde das Gespräch von KJV-Beisitzerin Carmen Molitor.

Besonderer Fokus auf die Frauen

Viele Monate lang hatte die Menschen damals nach der Wahl gegen Machthaber Alexander Lukaschenko protestiert. Dass ungewöhnlicherweise Frauen jeden Alters so stark involviert waren, wollte Violetta Savchits besonders dokumentieren. Anfangs ließen die Spezialkräften die Frauen weitgehend in Ruhe. Später wurde dieser Unterschied nicht mehr gemacht. Die Spezialkräfte gingen zunehmend brutal gegen die Demonstrierenden vor. Viele wurden verhaftet und auch gefoltert.

Entsprechend viel Mut gehörte dazu, diese Proteste zu dokumentieren. Auch Violetta Savchits wurde einmal zusammen mit einem Fotografen verhaftet, wie sie bei der Veranstaltung in Köln erzählte. Ihrem Kollegen wurde die Nase gebrochen, sie selbst kam glimpflich davon. Noch am selben Tagen wurden sie beide wieder entlassen.

Später wurde Berichterstattung noch gefährlicher. Hunderte Medienschaffende wurden vorübergehend festgenommen, einige zu mehrjährigen Haftstrafen, teils sogar zu Lagerhaft verurteilt. Im Fokus ist Belarus aber nicht mehr. Der Krieg gegen die Ukraine und andere Ereignisse haben das Geschehen dort weitgehend aus den Nachrichten verdrängt.

Platz 167 von 180

Heute sind die meisten Medien in Belarus fest in der Hand des Regimes. Präsident Lukaschenko, der das Land seit 1994 diktatorisch regiert, möchte jegliche kritische Berichterstattung unterdrücken. Journalistinnen und Journalisten, die nicht ins Exil gegangen sind, stehen unter starkem Druck. Im aktuellen Ranking der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht Belarus auf Platz 167 von 180.

„Die Polizei kann jederzeit dein Telefon durchsuchen und dich anklagen, wenn du Bilder oder Text an Medien gesendet hat“, schilderte die Fotografin die aktuelle Lage. Angeklagt wurde auch, wer beim Beginn von Russlands Krieg gegen die Ukraine Bilder von russischen Panzern machte, die Belarus durchquerten, um von dort aus gegen Kiew vorzurücken.

Unabhängiger Journalismus ist im Land weitgehend verstummt. Allerdings können Journalistinnen und Journalisten sowie Medien aus dem Exil die Menschen in Belarus erreichen, wie Gemma Pörzgen betonte.

Zwei Frauen sitzen an einem Tisch, vor ihnen Mikrofone.
Gemma Pörzgen von Reporter ohne Grenzen (l.) und Violetta Savchits berichteten über die Lage der Medien in Belarus 2020 und heute. | Foto: Ilya Pusenkoff

Violetta Savchits ist vor drei Jahren ins Exil gegangen. Anfangs war sie acht Jahr mit Unterstützung von Reporter ohne Grenzen in Deutschland. Danach lebte sie in Kiew, inzwischen ist sie in Vilnius im Exil. Rund 40 Kilometer sind es bis zur Grenze nach Belarus – voller Sehnsucht fahre sie häufiger dort hin, erfuhren die Besucherinnen und Besucher der Matinee. Hoffnung zu bewahren sei schwierig, beantwortete sie eine Frage von Carmen Molitor. Aber sie lese gerade ein Buch vom Fall der Berliner Mauer. Das zeige ihr, dass die Dinge mit Abstand doch noch gut werden könnten.

Dass Violetta Savchits nicht in Deutschland bleiben konnte, hat auch damit zu tun, dass es schwer ist, humanitäre Visa zu bekommen, erläuterte Gemma Pörzgen. Das zu erleichtern sei eine wichtige Forderung von Reporter ohne Grenzen an die Bundesregierung.

Erinnerung an die Gründung 1994

Das Schlaglicht auf die Lage in Belarus zeigte am konkreten Fall, warum die Arbeit von Reporter ohne Grenzen so wichtig ist. Dreißig Jahre ist es her, dass die deutsche Sektion der Organisation gegründet wurde. Auch daran erinnerte die Ver­anstaltung am 5. Mai. Unter Moderation der KJV-Beisitzerin Lima Fritsche erzählten zwei Mitglieder des Gründungsvorstands von dieser Zeit: Gemma Pörzgen, die aktuell wieder im Vorstand sitzt, und Andy Artmann, der sich heute als Beisitzer im KJV-Vorstand engagiert.

Die internationale Organisation Reporters sans frontières (RSF), die in Frankreich bereits seit 1985 bestand, wollte auch in anderen Ländern präsent sein. 1994 erschien in Deutschland der erste Band „100 Fotos für die Pressefreiheit“, im gleichen Jahr trafen sich rund 40 Journalistinnen und Journalisten aus allen Medienbereichen und mit einem breiten Spektrum politischer Einstellungen in Berlin zur Gründung des Vereins. Im Gründungsvorstand: Andy Artmann, Gemma Pörzgen und Michael Rediske. „Wir haben damals nicht im entferntesten gedacht, dass es mal so eine große Organisation wird“, betonte Gemma Pörzgen. Rund 3.000 Mitglieder hat der Verein heute. Die deutsche Sektion ist nach Frankreich die zweitgrößte.

Zwei Frauen und ein Mann auf einem Podium, der Mann hält das Bild einer Frau hoch.
Unter Moderation von Lima Fritsche (M.) erinnerten Gemma Pörzgen und Andy Artmann an die Gründung der deutschen Sektion von Reorter ohne Grenzen. | Foto: Ilya Pusenkoff

Andy Artmann, der mehrere Dokumente aus der Gründungszeit mitgebracht hatte, betonte: „Bei Pressefreiheit denken wir oft, dass es um unser Recht geht, als Journaistinnen und Journalisten frei berichten zu können. Es geht aber vor allem um das Recht der Menschen auf Informationen.“ || Corinna Blümel