Gut, dass Journalist:innen so flexibel sind. Nach der Corona-Zeit mit zwei digitalen KJV-Mitgliederversammlungen und kurz nach Karneval gab es am 23. Februar 2023 endlich wieder die Gelegenheit zum „analogen“ Treffen – diesmal an einem neuen Ort, dem Hilton in der Nähe von Dom und Hauptbahnhof. Und die KJV-Mitglieder kamen gerne.
Neues aus Bund, Land und Stadt
Der Bundesvorsitzende Frank Überall, selbst KJV-Mitglied, zeigte sich zufrieden mit der öffentlichen Wahrnehmung des DJV und kündigte an, im November nach dann acht Jahren nicht erneut für den Bundesvorsitz zu kandidieren. Neben frustrierenden Entwicklungen wie bei RTL/Gruner+Jahr sehe er aber auch neu entstehende Projekte, die zeigten, dass Qualität im Journalismus lebe. Einen Wechsel wird es auch an der Spitze des Landesverbands geben, berichtete Stefan Lenz, Schriftführer im NRW-Landesvorstand: Auf dem Gewerkschaftstag in Oberhausen am 22. April wird der bisherige Landesvorsitzende Frank Stach nach zehn Jahre nicht mehr antreten .
Die KJV-Vorsitzende Corinna Blümel gab einen Einblick die aktuelle Situation einiger Kölner Medienhäuser. Auch sie verwies auf die Situation bei RTL/Gruner+Jahr, in Hamburg fallen 700 Arbeitsplätze weg, in Köln sollen in den kommenden drei Jahren 300 Arbeitsplätze abgebaut werden. Mit der Einstellung so vieler Zeitschriften gingen neben der journalistischen Vielfalt auch wichtige Auftraggeber für Freie verloren. Der WDR stehe nach dem RBB-Skandal wie andere öffentlich-rechtliche Sender unter hohem Rechtfertigungsdruck. Außerdem finde derzeit die Transformation vom linearen Programm hin zu mehr digitalen Ausspielmöglichkeiten statt. Im Deutschlandfunk gebe es Probleme im Bereich der sogenannten „unständigen Beschäftigung“. In der Deutschen Welle rechnet der Personalrat angesichts eines stagnierenden Budgets aus Bundesmitteln mit Folgen für die Mitarbeiter:innen.
Neuer Vorstand gewählt
Nach den Geschäftsberichten der Vorsitzenden und des Schatzmeisters wurde der Vorstand für 2022 entlastet. Bei der anschließenden Vorstandwahl bestätigte die VErsammlung die freie Journalistin Corinna Blümel bei einer Enthaltung mit 32 Ja-Stimmen als KJV-Vorsitzende. Große Zustimmung gab es auch für ihre Stellvertreterin Daniela Lukaßen-Held, ebenfalls freie Journaistin, sowie für Stellvertreter und Schatzmeister Oskar Vitlif, freier Journalist und Dozent. Vitlif hatte das Amt des Schatzmeisters im vergangenen Jahr übernommen, nachdem sein Vorgänger den Vorstand überraschend verlassen hatte. Per Akklamation erfolgte die Wahl der acht Beisitzenden: Im Amt bestätigt wurden Andreas Artmann (Publizist und Dozent), Bert Grickschat (Redakteur RTL NEWS), Carmen Molitor (Referentin für Kommunikation beim DJV-NRW), Daniel Scheschkewitz (Redakteur Deutsche Welle und Betriebsratsvorsitzender des Örtlichen Personalrats in Bonn) und Anja Schimanke (Redaktionsleiterin Goldkrämer-Stiftung). Neue Beisitzende sind Lima Fritsche (Journalistenschülerin und freie Journalistin), Michael Hartke (freier Journalist) und Marcel Seyppel (Rentner und freier Journalist). Christel Boßbach unterstützt weiterhin im erweiterten Vorstand. Mit einer Altersspanne von rund 50 Jahren und den verschiedenen Arbeitsbereichen spiegelt der Vorstand nun die Vielfalt der KJV wider.
„Same procedure as every year“ war die Werbung für eine Mitgliedschaft im U-Verein, der in Not geratene Kolleg:innen unterstützt. Für diese wichtige Aufgabe wird der U-Verein von der KJV in diesem Jahr mit einer Spende von 6.000 Euro bedacht.
Nach dem vereinsrechtlichen Teil verabschiedete die Vorsitzende das langjährige Vorstandsmitglied Patrik von Glasow. Er hatte vor 20 Jahren die PR Lounge für Kolleg:innen im Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit aufgebaut. Bis zur Einstellung vor einigen Jahren kamen 150 Veranstaltungen zusammen, teils reine Netzwerktreffen, teils Besuchstermine und hochkarätig besetzte Vorträge und Podien sowie eine Informationsreise nach Brüssel.
Vortrag zum guten Umgang mit Belastungen
Für den zweiten Teil des Abends hatte die KJV die Kollegin Petra Tabeling eingeladen, die einen Vortrag über den guten Umgang mit Belastungen hielt.
„Die emotionalen Herausforderungen im Journalismus waren noch nie so groß wie heute.“ Das Ahr-Hochwasser, Corona, der russische Angriff auf die Ukraine, Klimawandel, Hate Speech, häusliche Gewalt – die Referentin und ehemalige Redakteurin der Deutschen Welle braucht nur Stichworte zu nennen und die KJV-Kolleg:innen sind im Bild. Neben der Gleichzeitigkeit der Krisen und Konflikte kennen alle den gestiegenen Druck durch die steigende Zahl der Informationskanäle.
Der Tod einer Kollegin in Afghanistan war vor Jahren für Petra Tabeling der Auslöser, sich mit den Stressreaktionen zu befassen, mit denen auf belastende Situationen reagiert wird. Ihr Fazit: „Die Not ist groß, nur sieht man sie nicht“. Als Dozentin und Traumaberaterin trainiert sie inzwischen Redaktionen darin, wie die einzelnen Mitarbeiter:innen besser für sich selbst sorgen können.
Denn es ist nicht nur der Kriegsreporter vor Ort, den später Alpträume verfolgen. Es sind auch die Menschen in den Redaktionen, die tagtäglich grauenhafte Bildmotive oder die Flut von Schreckensmeldungen bearbeiten, Schilderungen Verfolgter übersetzen oder sich der Konfrontation in den Social Media stellen müssen. Sie erleben Gefühle der Ohnmacht und des Kontrollverlusts, wo soziale Unterstützung nötig wäre. Was im übrigen auch die Erfahrung Betroffener im Kontakt mit „den Medien“ sein kann. Tabeling spricht dabei von Stressreaktionen und Sekundärtraumatisierungen, die durch unsachgemäße Interviews auftreten können.
Tabeling hatte vor einigen Jahren das deutsche Büro des Dart Centers (www.dartcentre.org) aufgebaut, das zu Trauma und Journalismus informiert. Heute gibt es das breite Online-Angebot allerdings nur noch in englischer Sprache. Die Referentin kennt Wege der Selbstvorsorge, um Reaktionen von der Schlafstörung bis zu Wut oder Isolation vorzubeugen. Auch wenn es einfacher klingt, als es ist empfiehlt sie, öfter offline zu gehen oder nach der Arbeit bewusst die Kleidung zu wechseln. Denn: „You may not remember but your nervous system does“.
Wenn Medienunternehmen begännen, sich um Aufklärung und Prävention zu bemühen, spiele „peer support“, also kollegiale Unterstützung, eine wichtige Rolle. Um auch Menschen wieder zu erreichen, die keine Nachrichten mehr sehen und hören wollten, könnte nach Petra Tabelings Überzeugung der Ansatz des konstruktiven Journalismus helfen. Die Idee veranschaulicht die Referentin mit dem Bild eines schaukelnden Kindes vor einer zerstörten Häuserzeile irgendwo in der Ukraine.||
Christel Boßbach