Nutzbarkeit ist der Kern eines Archivs. Es soll Dokumente nicht nur bewahren, sie müssen auch zur Verfügung stehen – für die Forschung, aber auch für interessierte Bürger. Dieser Gedanke steht im Mittelpunkt der Arbeit des Restaurierungs- und Digitalisierungszentrum (RDZ) in Porz-Lind, das eine Besuchergruppe der KJV im November auf Einladung der Stiftung Stadtgedächtnis besichtigte (einige Bilder unter www.djv-koeln.de). Die ehemalige Lagerhalle mit 10.000 qm Nutzfläche wurde angemietet, nachdem das Historische Archiv der Stadt Köln im März 2009 eingestürzt war.
Zwar ist die Schuldfrage juristisch noch ungeklärt, es gilt aber als sicher, dass der Einsturz, der auch zwei Menschenleben kostete, im Zusammenhang mit dem U-Bahn-Bau steht. In wenigen Minuten verschwanden damals 30 Regalkilometer mit einzigartigen Dokumenten aus 1.200 Jahren europäischer Geschichte in einem Krater. Welcher Schatz in diesem größten Kommunalarchiv Deutschlands lagerte, war vielen Menschen nicht bewusst: Originale etwa von Albertus Magnus, Napoleon, Jacques Offenbach, Giuseppe Verdi, Karl Marx, Konrad Adenauer und Heinrich Böll, mittelalterliche Handschriften und Siegel, Urkunden von Kaisern und Päpsten, Unterlagen des Domstifts, der französischen revolutionären Verwaltung und des Kölner Rats aus vielen Jahrhunderten, aber auch zeitgenössische Nachlässe und Sammlungen sowie hunderttausende Fotos.
29 Monate dauerte die Bergung aus Schutt und Schlamm, dabei konnten immerhin 95 Prozent der Archivgüter geborgen werden. Davon weisen 15 Prozent nur leichte und 50 Prozent mittelschwere Schäden auf, 35 Prozent sind aufs Schwerste beschädigt. Die Schadensbilder reichen von stark verschmutzt, aber im Prinzip intakt, über feucht und verschimmelt, verknickt und zerrissen, bis hin zu verbackenen Papierschnipseln. Dieser kleine Teil kann mit heutigen Technologien nicht aufgearbeitet werden.
Die geborgenen Archivalien haben in insgesamt 20 Institutionen quer durch Deutschland ein vorübergehendes Asyl gefunden. Neben der Unversehrtheit ging bei dem Einsturz auch die logische Ordnung verloren. Deswegen arbeiten Fachleute nicht nur an der Sicherung und Restaurierung der Dokumente, sondern auch an der Erfassung in einer Datenbank, um sie wenn irgend möglich zu identifizieren. Schon vor dem Einsturz hatte das Stadtarchiv mit der Digitalisierung der Bestände begonnen. Jetzt wird sie forciert, um die Bestände für die unkomplizierte Nutzung verfügbar zu machen. Aber natürlich soll das riesige Archiv nicht nur im Netz zu finden sein. Es soll auch wieder in Köln zusammengeführt werden. Geplant ist dafür ein Neubau, der 2019 fertiggestellt sein soll. Einstweilen lagern die gereinigten, restaurierten und erfassten Stücke im RDZ in einem klimatisierten, 7.000 qm großen Magazin.
Das erläuterte zu Beginn der Führung die Leiterin des Kölner Stadtarchivs, Bettina Schmidt-Czaia, im Lesesaal des RDZ, wo Interessierte seit Januar 2012 auch wieder erste restaurierte Originale einsehen können. Dann führte sie die Gruppe durch das Haus und präsentierte die technisch perfekt ausgerüsteten Arbeitsplätze der 20 Restauratorinnen und Restauratoren aus aller Herren Länder. Ihnen stehen für die Erfassung und die Mengenrestaurierung knapp 40 Hilfskräfte zur Seite. Trotzdem wird die Restaurierung geschätzte 30 bis 50 Jahre dauern.
Manche der Maschinen und Geräte wurden speziell für die Behandlung der Einsturzschäden entwickelt, etwa eine Gefriertrocknungsanlage, die den oft verklumpten Dokumenten die Feuchtigkeit entzieht, ohne die Trägermaterialen weiter zu beschädigen. Auch die Restauratoren bringen unterschiedliches Wissen mit, das vor Ort zusammenfließt. So entsteht in Köln ein neuer Wissenschaftsschwerpunkt, der auch weltweit gefragt ist, wie Dr. Stefan Lafaire, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Stadtgedächtnis, erläuterte. Denn ähnliche Schadensbilder wie in Köln sind zum Beispiel nach Erdbeben oder Kriegshandlungen zu finden.
Corinna Blümel