Nach längerer Coronapause hat die Kölner Journalisten-Vereinigung (KJV) im September ihr Vor-Ort-Leben wieder aufgenommen – mit einer Führung an der frischen Luft und in extra kleiner Gruppe. An einem der letzten warmen Spätsommertage ging über Melaten, so heißt der Zentralfriedhof von Köln, der sich über 435.000 Quadratmeter im Westen Kölns erstreckt.
Als Stadtführer erschloss der Historiker und Theologe Harry Kramer unterhaltsam die jahrhundertealte Geschichte dieses besonderen Orts, und selbst für eingesessene Kölnerinnen und Kölner gab es noch Neues zu erfahren. Etwa, dass die Gruften Platz für mindestens 20 Särge bieten müssen – und dass sie bis zu 15 Meter und drei Stockwerke in die Tiefe reichen. Oder dass im Zweiten Weltkrieg und den Jahren danach bis zu 1.000 Menschen auf dem Friedhof lebten und dort sogar Kinder zur Welt brachten. Beschädigte Grabsteine zeigen zugleich, dass zum Weltkriegsende auch Kämpfe auf dem Gelände stattfanden.
Geweiht wurde der Friedhof 1810, damals lag er bewusst außerhalb der Stadt. Auf dem Gelände mit einer eine 1245 geweihten Kapelle stand ab dem 12. Jahrhundert ein Heim für Leprakranke. Vom kölschen Ausdruck „malad“ (für krank, abgeleitet vom französischen „malade“) leitet sich auch der Name des Friedhofs ab. Später war das Areal die öffentliche Hinrichtungsstätte, und die Schreie der lebend aufs Rad Geflochtenen sollen bis in die Stadt zu hören gewesen sein, wie Führer Harry Kramer anschaulich beschrieb.
Denkmal und „normaler“ Friedhof in einem
Seit 1980 steht Melaten unter Denkmalschutz, insgesamt 167.000 Gebeine sind in den 55.000 Gräbern bestattet, darunter unzählige Prominente. Aber Melaten dient auch bis heute als „normaler“ Friedhof. Wenn Beerdigungen stattfinden oder Angehörige an Gräbern trauern, ist es für den Stadtführer eine Selbstverständlichkeit, mit seiner Gruppe einen anderen Weg zu gehen.
Zu sehen gibt es reichlich auf dem großen Areal: Unter den hohen Bäumen wird Stadtgeschichte erlebbar. Die großen Gruften entlang der Hauptwege gehören Familien, die teils bis heute das Leben der Stadt prägen – darunter die Adenauers, die Millowitschs, die Verleger-Dynastien DuMont, Bachem und Greven, Unternehmerfamilien wie Stollwerck, Imhoff, Farina und mehr. Begraben sind hier Journalisten wie Claus Hinrich Casdorff, Wolfgang Korruhn und Gert von Paczensky, die Schriftstellerin Irmgard Keun, Politiker wie Guido Westerwelle, der Gewerkschafter Hand Böckler und der Schauspieler Dirk Bach, neben dessen bunt geschmücktem Grab eine rosa Bank zum Sitzen einlädt.
Nicht jedes der historischen Gräber wurde durchgehend gepflegt: Der Grabstein von Maria Clementine Martin, der Klosterfrau mit dem Melissengeist, war lange so bemoost, dass er nicht zu lesen war. Erst als nach einer Reinigung der Name lesbar war, wurde das Grab hergerichtet. Wer genau hinsieht, erkennt in der dabei errichteten schmiedeisternen Umrandung die gotischen Bogenfenster des Klosterfrau-Logos.
Etwa 2.800 historische Grabanlagen gibt es auf Melaten, darunter sind neben denen mit fortlaufendem Nutzungsrecht auch viele, deren Nutzungsrecht abgelaufen ist und die zurück an die Stadt gefallen sind. Um diese historische Grabanlagen zu erhalten entstand 1981 die Idee der Patenschaften. Bürgerinnen und Bürger erklären sich bereit, die Aufbauten und Bepflanzung einer historischen Grabanlage zu restaurieren, und erhalten dafür ein Anwartrecht auf die Grabstätte. Wenn sie dort beerdigt werden, können sie ihr Name hinzufügen lassen, ohne dabei die eigentliche Anlage zu verändern.
Das Patensystem sichert historische Grabanlagen
Unter den insgesamt 473 Gruften sind aber auch welche, die man käuflich erwerben und dann komplett abräumen und neu gestalten kann. 25 wurden alleine im vergangenen Jahr verkauft, wie Harry erzählt. Dabei kann der Kaufpreis siebenstellig sein – die neuen Aufbauten und die inzwischen erfoderliche Lüftungsanlage für die Gruft nicht eingerechnet. Eine der neubelegten Gruften sei hochgesichert, weil wertvollen Inhalt berge, unter anderem ein großes, massive Goldkreuz.
Eine andere Gruft fällt durch ein gebogenes Wandmosaik der Ölbergszene auf. Hier stand früher eine hohe Skulptur, die im Krieg zerstört wurde. Als das Ehepaar Waffenschmidt, Gründer des Unternehmens SATURN, zu Lebzeiten die Gruft übernahm, ließ es dieses Mosaik anfertigen. Inzwischen sind beide dort begraben. Auffällig auch Deckplatte der Gruft aus Glas. Der Durchblick auf die darunter liegende Gruft wird allerdings durch dicke Tropfen Kondenswasser behindert.
Der bekannte Sensenmann
Die KJV-Gruppe kam auch an einem der bekanntesten Grabmale auf Melaten vobei: dem Sensenmann, den Bildhauer August Schmiemann höchst detailreich erschaffen hat. In der rechten Hand hält die Figur eine Sanduhr und in der linken Hand steckt normalerweise die Sense, die derzeit restauriert wird. Patin der Grabstelle ist die traditionsreiche Steinmetzfamilie Steinnus. Als ihr kleine Sohn Martin bei einem Unfall starb, wurde er dort begraben. Den kleinen Stein neben dem Sensenmann schmückt ein Frosch, in Anlehnung an Martins Spitznamen „Fröschlein“.
Harry steckt voller solcher Anekdoten – auch der von der Roma-„Königin“ Sophia Sophia Czory, deren Familie zu ihrem Andenken einmal im Jahr auf dem Friedhof feiert. Er erzählt von den Schauspieler-Freunden, die sich um die Gunst einer Frau zerstritten und nach der Aussöhnung im hohen Alter nahe beieinandergelegen Grabstätten gekauft hatten. Und er führt die KJV-Gruppe an einem Grabmal vorbei, das aus einem umgedrehten Kanonenofen besteht – gestiftet von der Stammkneipe des Verstorbenen, wie am Sockel nachzulesen ist.|| Corinna Blümel